Böhmische Dörfer

Up
Nordböhmen
Lužná u Rakovníka
Šumava I
Šumava II
Šumava III
Šumava IV
Teplá Tal
Böhmische Dörfer
Mähren
Altvater I
Altvater II
Altvater III
Adlergebirge
Riesengebirge
Niederes Gesenk
464 und 475
Hotzenplotz

 

 

Běhařov (Wihorschau) im Angeltal, Okres Klatovy.

Komposition wie zu k&k-Zeiten: 354.7152 und 375.007 (alias ÖBB 310.23) bei Nové Strašecí.

    

Über "Böhmische Dörfer"

"Böhmische Dörfer" ist schon seit Jahrhunderten ein Ausdruck für Unbekanntes oder Unverständliches. Viele Deutsche, die seit dem 13. Jahrhundert nach Böhmen einwanderten, hatten erstmals ihre Probleme mit den dortigen Ortsnamen, da sie diese nicht verstehen, geschweige denn richtig aussprechen konnten. Richtig gebräuchlich wurde die Redensart aber erst nach dem Dreissigjährigen Krieg. Damals wurde Böhmen derart verwüstet, dass kaum noch unzerstörte Dörfer übrig blieben. Als "Böhmisches Dorf" galt daher auch etwas, das es eigentlich gar nicht mehr gab.

Ein "Böhmisches Dorf" ist aber auch das heutige Tschechien für viele Menschen der westlichen Nachbarländer geblieben. Auf einer symbolischen Landkarte aus dem Jahre 1592, welche Europa in der Gestalt einer Königin zeigt, lag Böhmen noch im Herzen Europas. Das Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu Mitteleuropa, für die Jahrhunderte überdauernde, historische Verwandtschaft mit seinen vielen kulturellen und wirtschaftlichen Bindungen drohte jedoch Mitte des vorigen Jahrhunderts verloren zu gehen. 

Für die meisten Europäer lag die Tschechoslowakei in den Nachkriegsjahren trotz ihrer geografischen Nähe weiter entfernt als Irland oder Portugal. Selbst heute, rund eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende des Eisernen Vorhangs und dem zwischenzeitlichen Beitritt Tschechiens zur EU hat sich daran nur wenig geändert.

Wer sich jedoch aufmacht, die Regionen Böhmens und Mährens zu besuchen wird mit vielfältigen Eindrücken von einem Land zurückkehren, das bis heute viel von seiner kulturellen Identität bewahren konnte. Der Reisende wird selbst im kleinsten Städtchen eine 'Restaurace' oder ein 'Hostinec' (Gaststätte) finden, wo böhmische Gerichte auf der Speisekarte ebenso eine Selbstverständlichkeit darstellen wie verschiedene Pivo (Biere) aus lokaler Produktion.

Glücklicherweise sind viele Regionen Böhmens und Mährens derzeit noch meilenweit entfernt vom Massentourismus westeuropäischen Zuschnitts, so dass sich das Land allem demjenigen Besucher erschliessen wird, der das Urtümliche und Authentische sucht und sich für die Kultur des Landes interessiert.


"Am 'Ring' befindet sich denn auch der Hostinec, der Gasthof. Wie alles in diesem Lande typisch ist, so auch das Gasthaus. (...) Hier kocht es, backt es, brät es den ganzen Tag und ein Chaos von Gerüchen, zu denen sich vielfach noch unliebsame gesellen, durchzieht das Haus. Die Unreinlichkeit ist groß; an ruhige Nächte ist gar nicht zu denken und wer heikel ist und auf weiß Linnen hält, der bleibe fern. Andrerseits hat das bunte, laute, wüste Treiben einen Reiz; die Gekniffenheit, die man in den großstädtischen Hôtels empfindet, fällt fort, man ist der Herr und empfindet sich wohlthuend als solcher, während man in den großen Hôtels Westeuropas für theuer Geld nur geduldet wird. Königlich hat man allerhand Ungemach durchzumachen, aber innerlich empfindet man ein gewisses Behagen. Auch ist die Verpflegung nicht schlecht, nirgends kärglich, nirgends auf den bloßen Schein berechnet. Was man kriegt, das kriegt man wirklich und nicht nur dem Namen nach. Die Vorzüge feiner Cultur fehlen, aber auch ihre Schattenseiten und Langweiligkeiten. (...)"

Theodor Fontane, Tagebuch, Der deutsche Krieg von 1866

 

Ein Bahnübergang in Böhmen

 

Hühner gackern im Gehege beim alten Böhmischen Schrankenposten. Dann und wann passiert ein Auto gemächlich den kleinen Bahnübergang. Aus dem nahegelegenen Dorf dringt das singende Geräusch einer Kreissäge herüber. Sonst ist praktisch nur Vogelgezwitscher zu vernehmen an diesem warmen Maitag. 

Keine Spur des hektischen Alltags, den wir soeben für einige Tage hinter uns gelassen haben; die Zeit scheint hier förmlich stehen geblieben zu sein.

Dann Tschechische Stimmen vom alten Wärterhaus. Dessen Bewohner haben in der Zwischenzeit bemerkt, dass wir hier sind, und wohl auch, wozu. "Zug halbe Stunde !" rufen sie uns freundlich zu. "Děkuji ! Danke !" Gut zu wissen, das die Zeiten aus dem Kursbuch vom Vorjahr noch stimmen.

Wie fast immer nutzen wir die Zeit, die optimalste Stelle zu suchen und um über dieses oder jenes zu quatschen.

Dann bimmelt das Läutwerk wenig später senkt sich der hölzerne Schlagbaum der Schranke. Gut möglich, dass sie noch aus der Zeit der Donaumonarchie stammt. Kein Blinklicht und keine moderne Ampel, nicht mal eine Strassenlampe, bloss ein Andreaskreuz mit dem obligaten Schild "Pozor Vlak!" weist auf die Kreuzung mit der Bahn und deren möglichen Gefahren hin. Alles scheint gebraucht und schon mindestens ein halbes Jahrhundert im Dienst zu sein hier, dennoch wirkt es gepflegt und es ist offensichtlich, dass der Schlagbaum erst vor kurzem mit Farbe aufgefrischt wurde. Dann das Zirpen der Seilzüge, und richtig, nun zeigt auch das Vorsignal weiter draussen an der Strecke freie Fahrt. Einige Minuten später dann ein Brummen in der Ferne, dann das typische Klack-klack des Triebwagens auf dem alten, unverschweissten Gleis. 

Ob in diesem Moment eine Aufnahme gelingt, scheint beinahe nebensächlich. Der Sonnenstand zur Mittagszeit verspricht ohnehin kein Wagner-Bild, und die Fotostelle ist bloss ein Bahnübergang wie es sie noch hunderte gibt an den Schienensträngen Tschechiens. Aber es ist Eisenbahnatmosphäre vergangener Zeiten, wie sie bei uns zu Hause seit Jahren schon verschwunden ist.

Ungeduldig warten wir nach dem passieren des Zuges auf das Hochgehen der Schranken, denn wir wollen endlich wieder weiter. Aber nichts tut sich. Offensichtlich hat man die Schranke für den zwanzig Minuten später fälligen Gegenzug gleich unten gelassen oder der Stellwerker hat schlicht vergessen, sie wieder hochzukurbeln! Wie auch immer, niemand der vorbeispazierenden Dorfbewohner scheint gross daran Anstoss zu nehmen oder gar Hektik aufkommen zu lassen. Diese Beschaulichkeit wirkt selbst beruhigend auf uns. Und möglicherweise, so scheint mir, haben die Menschen hier gar etwas von der Ruhe und Gelassenheit bewahren können, die uns längst abhanden gekommen ist. 

Janovice (o), Tochowice (mitte, unten) 1. Mai 2005

Kloster und Teich bei Cekanice, 01.05.2005

(c) Markus Fischer, Zürich